Ein Brief an die zuständigen DepartementsvorsteherInnen und die Vorsteherin des Bundesamtes für Justiz betreffend die Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe», welche auch bestimmt, dass «die Ehe … die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau [ist]»:
[Update: Unten die Antwort des Bundesrates vom 8. November 2013]
Zürich, 8. Oktober 2013
Sehr geehrte Frau Bundesrätin Sommaruga
sehr geehrte Frau Bundesrätin Widmer-Schlumpf
sehr geehrter Herr Bundesrat BersetIch beziehe mich auf die Medienmitteilung des EFD vom 29. Mai 2013, worin der Bundesrat mitteilt, dass er die Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» zur Annahme empfiehlt. Ich wende mich an Sie, Frau Bundesrätin Widmer-Schlumpf, als Vorsteherin des EFD, an Sie, Herr Bundesrat Berset, als Vorsteher des EDI, und an Sie, Frau Bundesrätin Sommaruga, als Vorsteherin des Bundesamtes für Justiz – des «rechtsstaatlichen Gewissens» der Bundesverwaltung.
Die Medienmitteilung geht ausführlich auf die finanzpolitischen Gründe ein, weshalb der Bundesrat die Initiative unterstützt. Unerwähnt aber – und deshalb unklar – bleibt die Haltung des Bundesrates zum ersten Satz dieser Initiative, wonach «die Ehe … die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau [ist]». Dies, obwohl es verschiedene Gründe gibt, weshalb dieser Satz als Verfassungsbestimmung problematisch ist:
- Mit dem ausschliesslichen Bezug auf die Ehe (als Lebensgemeinschaft von Mann und Frau) droht die Diskriminierung der in einer eingetragenen Partnerschaft lebenden Menschen. Die Initianten haben zwar betont, von ihrer Initiative könnten «Paare in eingetragener Partnerschaft ebenso … profitieren», doch ist dies eine Interpretation gegen den ausdrücklichen Initiativtext. Selbst wenn das Bundesparlament später auf Gesetzesebene keinen diskriminierenden Erlass verabschieden sollte, so steht diese Versicherung der Initianten in der heutigen Zeit, in der nur zu oft die absolut wortgetreue Umsetzung von Volksinitiativen verlangt wird, schräg in der Landschaft.
- Das Ehe- und Familienrecht des ZGB geht implizit und an verschiedenen Stellen ausdrücklich davon aus, dass eine Ehe nur von einem Mann und einer Frau geschlossen werden kann. Dies ergibt sich umgekehrt auch aus der Definition der eingetragenen Partnerschaft. In der Rechtsprechung und in der juristischen Lehre ist dies nicht umstritten. Die Behauptung der Initianten, für die Abschaffung der «Heiratsstrafe» müsse die Ehe zuerst definiert werden, ist deshalb falsch.
- Auch wenn, wie erwähnt, das Konzept der Ehe als einer Verbindung von Mann und Frau zurzeit die Grundlage der schweizerischen Gesetzgebung ist, hat dies vor allem historische und traditionelle Gründe. Diese Gründe und damit das Konzept werden aber heute zunehmend als diskriminierend in Frage gestellt, wobei der gesellschaftliche Konsens sich – zumal in vergleichbaren westlichen Staaten – dahin bewegt, die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu öffnen. Es erscheint deshalb anachronistisch und dem laufenden gesellschaftlichen Diskurs abträglich, ausgerechnet im heutigen Zeitpunkt das hergebrachte Ehe-Konzept in der Verfassung zu verankern und damit bis auf weiteres zu zementieren.
- Auch aufgrund der menschen- und internationalrechtlichen Entwicklungen wird die Schweiz früher oder später nicht darum herum kommen, die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu öffnen (bereits der Fall ist dies in Belgien, Holland, Spanien, Kanada, Südafrika, Norwegen, Schweden, Portugal, Island, Argentinien, Dänemark, Brasilien, Neuseeland, Uruguay und Frankreich sowie einigen U.S.-Bundesstaaten). Die heute dafür zur Verfügung gestellte eingetragene Partnerschaft dürfte sich indessen länger halten lassen, wenn diese auch verfassungsrechtlich nicht als eine Partnerschaft minderer Form gewertet wird, wie dies mit der Initiative implizit der Fall wäre.
- Ausdruck dieser internationalen Entwicklung ist u.a. der Entscheid des U.S. Supreme Court in «United States v. Windsor» vom 26. Juni 2013 (fast zeitgleich mit der Medienmitteilung des Bundesrates): Das Gericht hat darin ein U.S.-Bundesgesetz (den «Defense of Marriage Act» von 1996), welches die Ehe als Verbindung von Mann und Frau definierte, als verfassungswidrig und diskriminierend beurteilt, u.a. deshalb, weil es für die dadurch entstehende Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Paare keinen legitimen Grund gäbe («… no legitimate purpose …») und weil das Gesetz deshalb allein den Grund haben könne, diejenigen, welche in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben, herabzuwürdigen («… the principal purpose and the necessary effect of this law are to demean those persons who are in a lawful same-sex marriage …»). Ein anderer Grund ist auch im Zusammenhang mit der Initiative nicht ersichtlich.
- Bedenken sind schliesslich auch hinsichtlich der Voraussetzung der Einheit der Materie angebracht: Weil, wie erwähnt, eine Definition der Ehe für die Anliegen der Initiative nicht notwendig ist, vermischt die Initiative ein gesellschaftspolitisches (Ehe als Verbindung von Mann und Frau) mit einem finanzpolitischen Anliegen (Abschaffung der «Heiratsstrafe»). Während kaum jemand sich, im Grundsatz, gegen die Abschaffung der «Heiratsstrafe» aussprechen dürfte (zumindest solange es nicht um die konkrete Ausgestaltung geht), ist dies für den gesellschaftspolitischen Teil der Initiative zweifelhaft. Die Stimmenden werden durch die Initiative aber gezwungen, diese beiden Anliegen gemeinsam zu beurteilen und gegeneinander abzuwägen, obwohl es dabei um unterschiedliche Fragestellungen geht. Und es steht zu befürchten, dass der Entscheid dabei zulasten der (vorerst vielleicht nur abstrakt) betroffenen Minderheit geht.
Aus allen diesen Gründen bitte ich Sie, sehr geehrte Damen und Herren, dem Gesamtbundesrat zu beantragen, auf den Entscheid zur Unterstützung der Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» zurückzukommen und dem Parlament stattdessen einen nichtdiskriminierenden Gegenvorschlag zu unterbreiten, welcher sich allein auf den finanzpolitischen Inhalt der Initiative beschränkt (z.B. als ein neuer Art. 127 Abs. 4 BV: «Gemeinsam besteuerte Paare dürfen gegenüber nicht gemeinsam besteuerten Paaren und Alleinstehenden steuerlich nicht benachteiligt werden.»).
Als Bürger bin ich besorgt, dass unsere Bundesverfassung, auf die man bei ihrem Erlass 1999 mit Recht stolz sein konnte, zum Instrument von Diskriminierung und Ausgrenzung wird. Ich bin überzeugt, dass es nicht im Sinne des Bundesrates ist, eine steuerliche Ungerechtigkeit um den Preis einer anderen Diskriminierung aufzuheben.
Freundliche Grüsse
Marcel Küchler
Gemeinsame Antwort der BundesrätInnen Sommaruga, Widmer-Schlumpf und Berset:
…
Der Bundesrat ist mit dem steuerpolitischen Ziel der Volksinitiative, die Ungleichbehandlung von Ehe- und Konkubinatspaaren zu beseitigen, einverstanden. Der Initiativtext enthält dabei einen Ehebegriff, der nach Auffassung des Bundesrates dem heutigen Verständnis von Ehe entspricht. Der Bundesrat verzichtete daher darauf, dem Parlament einen direkten Gegenentwurf zu beantragen, welcher den Initiativtext ohne Definition der Ehe übernommen hätte.Mit Annahme der Initiative würde in der Verfassung die Ehe als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau definiert. Dennoch könnte dies den Gesetzgeber nicht daran hindern, auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften im Erb- oder im Sozialversicherungsrecht sowie in weiteren Rechtsgebieten (z.B. Bürgerrecht, Adoptionsrecht) gleich zu behandeln wie Ehepaare im traditionellen Sinn. Bereits das geltende Partnerschaftsgesetz folgt dieser Leitlinie. Insofern dürfte sich die Definition des traditionellen Ehebegriffs in der Verfassung relativieren.
…
Die Frage bleibt allerdings, weshalb nicht einmal diese Aussagen in die Botschaft aufgenommen wurden. Und dies, obwohl das EJPD offenbar empfahl, die Initiative wegen der Ehe-Definition abzulehnen!
Weitere Hinweise:
- Tagesanzeiger Online: Homosexuelle empören sich über den Bundesrat (15. November 2013)
- Antwort im Original (8. November 2013)
- 20min: CVP ist schlimmer als radikale Republikaner
- Überparteiliche Stellungnahme zur Botschaft des Bundesrates vom 24. Oktober 2013 (Gay SVP, RADIGAL, Grünliberale, Junge Grüne, SP, JUSO GaynossInnen)
- «Ehedefinition der CVP ist inakzeptabel» (Freidenker-Vereinigung Schweiz)
- Botschaft des Bundesrates vom 23. Oktober 2013 (ohne eine einzige Erwähnung der hier angesprochene Problematik!)
- Bundesrat empfiehlt Menschenrechtsverletzung (Blog MAG – Tagesanzeiger)
- Der Brief im Original (8. Oktober 2013)
- Interview mit Gerhard Pfister (CVP): Ehe und eingetragene Partnerschaft sind nicht dasselbe.
- Gemeinsame Medienmitteilung der Dachverbände LOS, Regenbogenfamilien, TGNS, Pink Cross vom 13. November 2012
Schreibe einen Kommentar